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„Solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann“

Norbert Kreis ist nah dran an seinen Mitarbeiter*innen. Hier bespricht er mit Grit Moreno den Dienstplan (Foto: Fachkraft im Fokus).

„Solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann“ - mit diesem Zitat aus der Bibel (Gal. 6/10) beginnt das Vorwort der „Geschichte des Marthahauses“. Das Zitat steht für die Arbeit am und mit dem Menschen als auch für die Menschen, die diese Arbeit durchführen. Die über die Jahre gewachsene Leitkultur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die 1885 als „Anstalt zur Bildung weiblicher Dienstboten“ gegründete Stiftung Marthahaus betreibt heute Pflege- und Wohneinrichtungen für Seniorinnen und Senioren in Halle.

Wir haben uns mit Norbert Kreis, Geschäftsführer Stiftung Marthahaus, im Oktober zu einem Gespräch getroffen, um zu verstehen, warum es im Marthahaus kein Fachkräfteproblem gibt.

Fachkraft im Fokus: Unternehmenskultur steht für die Werte und Normen, die in einem Unternehmen von allen Mitarbeiter*innen getragen und gelebt werden. Darüber definiert sich die Gemeinschaft und Identifikation im Unternehmen. Welche Kultur definiert das Leben und Arbeiten im Marthahaus?

Kreis: Die Geschichte der biblischen Martha drückt im Wesentlichen unser Leitbild aus. Martha steht dort für die praktischen und zu organisierenden Dinge eines gastlichen Ortes. Wie wir dies in unserem Alltag im Marthahaus definieren, ist natürlich ein nie abgeschlossener Prozess, sondern bedarf der ständigen Vergewisserung und ist in permanentem Wandel. Auf einem grundsätzlichen Wertefundament ist es gut möglich, sich wandelnden gesellschaftlichen Anforderungen und Entwicklungen anzupassen. Mit der Erfahrung einer alten Organisation im Rücken kann man sich in unserer  postmodernen Beschleunigung sehr gut die Frage stellen: Wie atmet so eine traditionsreiche Einrichtung über einen langen Zeitraum? Wann kann man gelassen bleiben, wann ist es gut, sich auf Bewährtes zu besinnen und wann muss man unzeitgemäße Strukturen ablegen und durch neue Wege finden.

Fachkraft im Fokus: Zu den alten abgelegte „Zöpfen“ gehört sicher auch eine zentralisierte Struktur. Sie setzen in Ihrem Haus auf Autonomie. Was bedeutet das konkret?

Kreis: Nach meiner Erfahrung werden Probleme selten gut „von oben“ gelöst. Wir arbeiten deshalb, da wo es geht, hierarchiearm in Kollegialteams. So kann es gut sein, wenn in einem Team gar keine Abteilungsleitung existiert, sondern jeder entsprechend seiner Fähigkeit und Neigung eine besondere Teilverantwortung, ein „Amt“ übernimmt. Es gibt aber auch bei uns Bereiche oder Menschen, wo das nicht funktioniert und Leitung erforderlich ist. Da unterstützen wir dann einen Aufgaben-Mix, um die Arbeit abwechslungsreich und damit attraktiv zu gestalten.

Fachkraft im Fokus: Das bedeutet, dass in Ihrem Hause Führung unterschiedlich ausgefüllt wird. Was macht gute Führung für Sie aus?

Kreis: Für mich persönlich bedeutet es erst einmal, nah dran zu sein und zu wissen, was los ist. Das gelingt, wenn ich mich auch mal mit kleinen Details beschäftige oder in einem kritischen Fall aktiv mitwirke. Und wenn ich auch zwischen den Sprechtagen ansprechbar bin  für Kunden und Mitarbeitende. Andererseits gehört aber auch zu meinen Aufgaben, darauf zu achten, dass wir nicht in Routinen einschlafen und auch mal neue Wege versuchen.

Ich arbeite gern auch mal in der Werkstatt oder mähe den Rasen. Für mich heißt gute Führung, dass nicht alle Entscheidungen über meinen Tisch gehen müssen, ich aber als Gesamtverantwortlicher den Überblick habe. Ich bin von Hause aus Sozialpädagoge und der Sozialarbeiter kann es als Erfolg bezeichnen, wenn er irgendwann abkömmlich ist. Gute Führung bedeutet für mich deshalb, die Rahmenbedingungen so zu organisieren, dass Mitarbeitende ihre Arbeit selbstständig und gut machen können.

Fachkraft im Fokus: Da spielen Vertrauen und Transparenz sicher eine große Bedeutung?

Kreis: Wir haben eine weitest gehende Transparenz bei gleichzeitig sensibler Behandlung  personenbezogener Informationen. Es gibt zum Beispiel eine große Hauskonferenz und einen „Mitunternehmertag“, an dem auch die wirtschaftlichen Grundlagen vorgestellt werden. Weil aber nicht jeder über alle betrieblichen Zusammenhänge Bescheid wissen kann und muss, geht es eben auch nicht ohne gegenseitiges Vertrauen. Arbeitsbeziehungen unterscheiden sich da nicht grundsätzlich von anderen sozialen Beziehungen: wenn man sich gegenseitig nicht mehr vertraut, sollte man sich scheiden lassen.

Fachkraft im Fokus: Sie sagen, dass Sie kein Problem haben, freie Stellen zu besetzen. Ein Grundstein dafür ist sicherlich, dass Sie jährlich ausbilden.

Kreis: Aktuell haben wir 10 Azubis, also mindestens 3 die jedes Jahr fertig werden. Wir besetzen in jedem Jahr auch wieder drei neue Ausbildungsstellen. Bisher gab es keine Probleme, Interessenten für unsere Ausbildungsplätze zu finden. Wir bezahlen eine tarifliche Ausbildungsvergütung und unsere Azubis haben einen Mentor, der sie auf ihrem Weg begleitet, Fragen beantwortet und unterstützt.

Seit 2015 bieten wir außerdem eine Lernwerkstatt für Migranten an, die bis heute jeden Freitag als „Freundeskreis“ stattfindet. Darüber haben wir zusätzlich tolle Mitarbeiter gefunden, die wiederum über Mundpropaganda weitere Interessen anlocken. Für die Bewerber mit Migrationshintergrund haben wir unsere Stellen im Bundesfreiwilligendienst auf fünf hochgefahren. Der Bundesfreiwilligendienst ist eine gute Möglichkeit, sich in einen Beruf hineinzufinden. So müssen wir unsere freien Ausbildungsstellen gar nicht ausschreiben, weil der Nachwuchs und die Bewerber schon da sind.

Natürlich machen wir uns auch für unsere Mitarbeiter stark, damit sie gern hier arbeiten. Arbeitszeit ist schließlich auch Lebenszeit. Wir versuchen die Dienstpläne, wenn möglich, familiengerecht zu gestalten. Als kirchliche Einrichtung sind wir eine „Dienstgemeinschaft“, die gemeinsam ihre Aufgabe erledigt. Dafür ist es wichtig, dass sich alle hier wohl fühlen.

Fachkraft im Fokus: Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute für die Stiftung Marthahaus.